Im Gespräch mit Anna-Katharina Friedrich, Referentin für Engagementförderung bei der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt
„Die Engagementbereitschaft ist hoch“ – wie Vereine auf Interessierte zugehen können
Neue Engagierte zu finden, ist die Herausforderung von Vereinen und Organisationen. Die Bereitschaft, sich zu engagieren, ist hoch. Jedoch ändert sich die Form des Engagements. Wie Vereine mit dem Wandel umgehen können und welche Möglichkeiten sie haben, verrät DSEE-Referentin für Engagementförderung Anna-Katharina Friedrich.
Anna-Katharina, viele Vereine berichten, dass es immer schwieriger wird, Engagierte zu finden. Hast du ähnliche Beobachtungen feststellen können?
Zunächst ist es so: Eines der zentralen Ergebnisse des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys aus 2019 zeigt, dass die Engagementbereitschaft so hoch ist wie nie zuvor. Das ist ein positives Zeichen. Damit sich diese Menschen aber auch engagieren, müssen sie wissen, an wen sie sich wenden können. Vereine wissen inzwischen, dass sie mehr Öffentlichkeitsarbeit machen müssen, um diese engagementwilligen Menschen abzuholen. Auch die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnerinnen und -partnern wird immer wichtiger, um neue Engagierte anzusprechen und zu erreichen.
Engagement im Wandel
Wie hat sich das Engagement verändert?
Die meisten engagieren sich nach wie vor in Vereinen oder gemeinnützigen Organisationen. Es werden auch immer noch Vereine gegründet, wobei die Neugründungen etwas zurückgegangen sind. Im Bereich Sport ist diese organisierte, formelle Art von Engagement und Ehrenamt nach wie vor am gängigsten. Das Problem: Neue Ehrenamtliche zu finden, die gleich einem Verein beitreten, wird immer mehr zur Herausforderung. Das spontane, informelle Engagement wie im Klima- und Umweltschutz nimmt hingegen zu. Das liegt natürlich auch an der Brisanz des Themas, die viele Menschen aktuell dazu bringt, sich für den Schutz der Umwelt und des Klimas einzusetzen.
Generell sehen wir: Die großen gesellschaftlichen Trends, wie der demografische Wandel, die Veränderungen in der Arbeitswelt, das Bedürfnis vieler Menschen nach mehr Flexibilität und Mobilität haben Auswirkungen auf das Engagement. Es wird flexibler, spontaner und mobiler. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten sich mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen und überlegen, in welchen Bereichen sie sich anpassen können.
Zum Beispiel?
Nicht jedes Vereinstreffen muss zwingend in Präsenz stattfinden, es lohnt sich auch mal die Sitzungen in den digitalen Raum zu verlegen und so mehr Flexibilität zu gewährleisten. Dann können sich zum Beispiel auch Menschen, die in dieser Zeit ihre Kinder betreuen, zuschalten und mitreden. Und Menschen, die gerade weggezogen sind, sind nicht direkt gezwungen, ihr Engagement zu beenden.
Auch mal kleinere Projekte zur Mithilfe anzubieten und kurzfristiges Engagement zu ermöglichen, kann eine Lösung sein.
Die Engagementbereitschaft ist hoch, aber gerade die ehrenamtlichen Leitungsposten bleiben oft unbesetzt. Wie passt das zusammen?
Das stimmt, die Bereitschaft, eine solche Position zu übernehmen, sinkt dramatisch.
Woran liegt das?
Ein Ehrenamt in einer solchen Position, zum Beispiel im Vorstand, bringt auch eine bürokratische Belastung mit sich. Als Bundesstiftung arbeiten wir gemeinsam mit den verantwortlichen Institutionen daran, die Entbürokratisierung im Ehrenamt voranzutreiben. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass die Leitungspositionen aktuell meist von eher älteren, männlichen Personen besetzt sind. Personen, die eigentlich Lust hätten, mehr Verantwortung zu übernehmen, könnten den Eindruck bekommen, dass ihnen das Handwerkszeug oder die Erfahrung fehlen.
Was kann dann dabei helfen, neue Engagierte anzusprechen und sie zu ermutigen, sich aufstellen zu lassen?
Um Engagierte für verantwortungsvolle Aufgaben zu motivieren und zu gewinnen, ist es zunächst wichtig, wie die Vorstände über ihre Aufgaben sprechen. Tragen sie ein eher negatives Bild vor sich her und betonen die Schwere der Aufgabe oder den Zeitaufwand, der damit verbunden sein kann, schreckt das natürlich ab. Dabei bringt das Engagement doch auch viel Positives, wie Gestaltungsfreiräume, mit sich. Sich dieser Vorteile wieder bewusst zu werden und nach außen zu tragen, ist ein erster wichtiger Schritt.
Mit Vielfalt zum Erfolg
Was kann noch dabei helfen, vielleicht auch jüngere Engagierte zu motivieren?
Ruhig mal gezielt auf die Menschen im Verein zugehen und sagen „Hey, das Vereinsfest hast du super umgesetzt, hättest du nicht Lust auf ein anderes Aufgabenfeld?“ Oder auch die jüngeren Engagierten fragen: Was fehlt euch im Verein? Was würdet ihr gerne umsetzen? Natürlich gehört es dann auch dazu, ihnen diese Möglichkeit einzuräumen und sie zu unterstützen. Es ist klar, dass man als junger Mensch nicht alles perfekt macht, aber gerade im Engagement kann man sich toll ausprobieren. Voraussetzung ist ein fehlerfreundliches Umfeld.
Jetzt haben wir über jüngere Engagierte gesprochen. Wo siehst du noch weiteres Potenzial?
Eine große Chance des Engagements liegt in der Diversität und Vielfalt. Es ist ein erster Schritt im Verein anzuerkennen: Es gibt bestimmte Personengruppen, die wir noch gar nicht ansprechen. Es lohnt sich, einen selbstkritischen Blick auf sich selbst zu werfen und zu sagen: Diese Gruppen erreichen wir gut, aber Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Migrationsgeschichte kommen bei uns noch gar nicht vor. Wie erreichen wir sie? Und dann die Öffentlichkeitsarbeit entsprechend anzupassen: niedrigschwellig, barrierearm, einfache Sprache oder auch mal Informationen in andere Sprachen übersetzen. Dazu gehört auch, die Bildsprache zu prüfen: Wen bilden wir auf unseren Fotos ab, spricht das eine breite Zielgruppe an? Wenn man zum Beispiel immer nur den gerade erwähnten Vorstand zeigt, spricht das eben bestimmte Personengruppen nicht an. Stärkt jüngeren Engagierten den Rücken und ermutigt sie, über ihr Engagement zu berichten. Als Vorstand bedeutet das auch, sich zurückzunehmen und anderen den Vortritt zu lassen.
Wie profitieren die Vereine und Organisationen letztendlich von mehr Vielfalt?
Vielfalt hat ganz viele Vorteile: Nämlich die Möglichkeit, dass verschiedene Perspektiven, Lebensrealitäten und Ressourcen eingebracht werden. Es zeigt sich, dass divers aufgestellte Organisationen in Krisenzeiten schneller reagieren können, zum Beispiel durch größere Netzwerke. Neue Ideen entstehen schneller.
Dadurch vergrößert sich die Zielgruppe derer, die die Angebote des Vereins nutzen. Gerade jungen Menschen sind diverse und offene Strukturen wichtig, um sich zu engagieren.
Zum Schluss: Was gibst du Vereinen mit, die Schwierigkeiten haben, Engagierte zu finden?
Im Dialog mit Vereinen und Engagierten fällt immer wieder das Argument: „Wir würden ja gerne mehr machen, aber wir haben zu wenig Leute.“ Das Zeitproblem besteht natürlich – dennoch beißt sich hier die Katze in den Schwanz. Um neue Engagierte zu erreichen, müssen wir aktiv sein, nach außen präsent sein und den Menschen direkt die Möglichkeit geben, sich einzubringen. Sonst verlieren wir diejenigen, die sich engagieren möchten. Um interessierte Menschen gut und schnell einzubinden, sind konkrete Vorhaben hilfreich. Das kann für sie den Einstieg in ein längerfristiges Engagement bedeuten: Wenn sie merken, dass sie im Ehrenamt nette Menschen treffen können, es interessant ist und Spaß macht, sich einzubringen und etwas zu bewirken.
Vielen Dank, Anna-Katharina.
Anna-Katharina Friedrich
Referentin für Engagementförderung