Grafik mit grünem Hintergrund und einer gezeichneten Glühbirne. Text: #EngageiertGeforscht Zentrum für Zivilgesellschaftliche Entwicklung. Monitoring Demokratische Integration in Deutschland. Studienbericht

Schlagworte

#Demokratie #Strukturmerkmale #Partizipation

Personen/Beteiligte Organisationen:

Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung, Prof. Dr. Thomas Klie, Leon Brandt, Isabel Schön

Freiburger Institut für angewandte Sozialwissenschaft e. V., Jürgen Spiegel 

Institut für Demoskopie Allensbach, Prof. Dr. Renate Köcher, Dr. Wilhelm Haumann 

Dr. Thomas Gensicke

Projektlaufzeit:

Juli 2021 – Dezember 2021 (Vorstudie)
Oktober 2022 – Dezember 2023 (Hauptstudie)

Was wurde konkret gemacht?

Im Jahr 2017 fanden die Untersuchungen des Monitorings „Demokratische Integration“ erstmals statt. Um Veränderungen zu erfassen und die aktuellen politischen Entwicklungen der letzten Jahre abzubilden, wurden im Rahmen des Projekts „Demokratische Integration 2.0“ zwei repräsentative Bevölkerungsbefragungen durchgeführt. Zudem erfolgten Berechnungen für einzelne Regionen, um die strukturellen Unterschiede und Einflussfaktoren in Deutschland zu analysieren.

Was sind die drei spannendsten Ergebnisse? 

  • Der Ansatz, Strukturbedingungen von Regionen in Beziehung  zu dem Niveau von Engagement, Wahlbeteiligung und Systemvertrauen zu setzen, hat sich bewährt und bestätigt. 
  • Insbesondere in den westdeutschen Regionen sind die Zusammenhänge von Strukturbedingungen, Engagement und demokratischer Integration signifikant. 
  • In den ostdeutschen Regionen sind die Zusammenhänge hingegen nicht stabil: Es findet eine Entkoppelung der Strukturbedingungen von den Einstellungen zur Demokratie, der Engagementbereitschaft und dem Wahlverhalten statt. 

Welche Zahl ist brisant? 

Nur 37 % der Ostdeutschen sind der Auffassung, dass sich die aktuellen gesellschaftlichen Probleme mit der Demokratie lösen lassen, in Westdeutschland sind es 60 %.

Was kann die Politik aus den Erkenntnissen lernen? 

Strukturpolitik bleibt weiter hoch bedeutsam, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort zu stärken, das Systemvertrauen zu stabilisieren und die Engagementbereitschaft zu unterstützen. Werden grundlegende Funktionen der örtlichen Daseinsvorsorge nicht mehr erfüllt, sinkt das Systemvertrauen. Insofern sind gerade in strukturschwachen Regionen Investitionen in die Infrastruktur vonnöten. Gleichzeitig gilt, dass allein gute und bundesweit bessere Lebensbedingungen nicht automatisch dazu führen, dass das Systemvertrauen stabilisiert wird und die Einstellungen zur Demokratie positiv ausfallen. Investitionen in Strukturbedingungen von Regionen müssen daher einhergehen mit politischer Bildung und demokratischen Formen der Beteiligung vor Ort. 

Was können engagementfördernde Organisationen lernen? 

Engagement ist und bleibt einer der wesentlichen Bausteine für eine resiliente Demokratie. Dabei wird es zukünftig noch stärker als bislang darauf ankommen, Engagementförderung mit politischer Bildung zu verbinden, da es Hinweise darauf gibt, dass nicht mehr jedes Engagement und jede zivilgesellschaftliche Organisation hinter dem rechtsstaatlichen Fundament der bundesdeutschen Demokratie steht. Engagementfördernde Institutionen haben allerdings stets auch die Strukturbedingungen vor Ort in den Blick zu nehmen. Engagement leistet einen wesentlichen Beitrag zur Daseinsvorsorge, kann aber keine staatlichen Grundfunktionen der Daseinsvorsorge ersetzen.

Was kann die Wissenschaft lernen?

Das Monitoring Demokratische Integration 2.0 untersucht – im Vergleich zu anderen Studien – primär den Einfluss regionaler Strukturmerkmale, nicht den Einfluss individueller Personenmerkmale auf die Engagementbereitschaft.  Angesichts der sozialen, ökonomischen und kulturellen Unterschiede in Deutschland werden auch für die weitere Engagementforschung Fragen aufgeworfen, wie sich diese Unterschiede sowohl auf regionaler als auch auf individueller Ebene abbilden, erklären und beeinflussen lassen.

O-Ton der Studienleitung: Was war Ihr “Aha-Moment”? 

„Engagementbereitschaft hängt auch von der Gewährleistung relevanter Infrastruktur – etwa der gesundheitlichen Versorgung –  ab. Dort wie sie als gefährdet angesehen wird, ist Engagement weniger wahrscheinlich.“ (Prof. Dr. Thomas Klie)

Zum Hintergrund

Mit dem Monitoring Demokratische Integration werden die Einstellungen zur Demokratie und Verhaltensweisen der Bevölkerung längerfristig beobachtet, um frühzeitig strukturpolitische Maßnahmen zur Förderung von Engagement und demokratischem Verhalten entwickeln zu können. Dabei wird herausgestellt, welche Bedeutung Strukturmerkmale von Regionen für das Engagementniveau der Bürgerinnen und Bürger sowie für die Wahlbeteiligung haben.

Die Demokratische Integration beschreibt ein Bündel zusammenhängender Haltungen, wie grundsätzliche Einstellungen zur Demokratie, zum politischen System in Deutschland oder zu Amtsträgerinnen bzw. Amtsträgern sowie Verhaltensweisen, wie insbesondere die demokratische Partizipation durch freiwilliges Engagement und die Wahlbeteiligung. Das Konzept der Demokratischen Integration wurde von Prof. Dr. Thomas Klie und Prof. Dr. Baldo Blinkert (†) entwickelt.

Im Jahr 2021 wurde eine Vorstudie zum Monitoring 2.0. durchgeführt, um das Konzept “Demokratische Integration” weiterzuentwickeln. Konkret wurde der Zusammenhang von Einstellungen der Bevölkerung zur Demokratie und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt mit über Sekundärdaten vorliegenden Informationen zum Verhalten der Bevölkerung in Regionen untersucht. Weiterhin wurde die Datengrundlage für die Strukturbedingungen von Regionen erweitert und aktualisiert.

Die Hauptstudie liefert nun aktuelle Ergebnisse zu Indikatoren der demokratischen Integration in Bezug zu regionalen Strukturmerkmalen. Hierbei werden die vergangenen und aktuellen Krisenerfahrungen der Bevölkerung berücksichtigt. Um die positiven Zusammenhänge zwischen Demokratievertrauen und Partizipation (Engagement, Wahlverhalten) zu prüfen, wurde vom Institut für Demoskopie Allensbach eine repräsentative Bevölkerungsbefragung durchgeführt. Die Untersuchung thematisiert u. a. die aktuellen Sorgen der Menschen, die Zufriedenheit mit der Demokratie, das Vertrauen in diese und die demokratische Partizipation (freiwilliges Engagement und Ehrenamt, Wahlverhalten). Ebenfalls werden Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland herausgestellt. Im nächsten Schritt wurden die für das Monitoring wichtigen Zusammenhänge zu den Strukturmerkmalen von Regionen berechnet.

Was sind die zentralen Erkenntnisse der Vorstudie?

  • Die Sorgen der Bevölkerung sind groß. Der russische Angriffskrieg macht 85 Prozent der Befragten große Sorgen, die erlebte Inflation 86 Prozent der Befragten. Zugleich werden von einer Mehrheit der Bevölkerung weitere größere Probleme wahrgenommen, insbesondere in der Gesundheitsversorgung. Des Weiteren ist eine Zunahme von Problemen in der Region, in der die Befragten leben, erkennbar. Im Vergleich zum Jahr 2021 nennen die Befragten im Jahr 2023 öfter hohe Miet- und Immobilienpreise (2021: 50 Prozent; 2023: 55 Prozent), den schlechten Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs (2021: 36 Prozent; 2023: 42 Prozent) und die zu hohen Lebenshaltungskosten (2021: 32 Prozent; 2023: 38 Prozent) als Probleme in ihrer Region.
    Das Vertrauen in die Demokratie als Regierungsform bleibt dennoch insgesamt stabil. 93 Prozent halten die Demokratie für eine gute Regierungsform. 2019 waren es noch 91 Prozent.
  • Die Einstellung zur Demokratie im politischen System in Deutschland hat sich allerdings verändert: Zwar geben drei Viertel der Befragten an, dass sich die Demokratie in Deutschland im Großen und Ganzen bewährt hat. Allerdings sind nur noch 62 Prozent der Bevölkerung mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, sehr zufrieden oder eher zufrieden (gegenüber 68 Prozent in 2019). Der Bundesregierung vertrauen nur 53 Prozent der Bevölkerung „voll und ganz“ oder „eher“. Drei Jahre zuvor waren es noch 59 Prozent.
  • Die Problemwahrnehmungen und auch kritische Haltungen sind besonders in Ostdeutschland ausgeprägt. Während dort lediglich 37 Prozent die Demokratie, wie sie in Deutschland gelebt wird, als beste Staatsform bewerten, sind es in Westdeutschland 67 Prozent. In Westdeutschland sind 79 Prozent der Meinung, die Demokratie habe sich bewährt, in Ostdeutschland nur 50 Prozent.
  • Insbesondere Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status sowie Anhängerinnen und Anhängern der AfD (in West wie Ost) fällt es schwerer, sich zur Demokratie in Deutschland zu bekennen und Vertrauen zu Institutionen zu entwickeln. Dahinter stehen oft Gefühle politischer Ohnmacht. Im Durchschnitt haben 35 Prozent der Befragten den Eindruck, machtlos zu sein und daran auch durch Engagement nichts ändern zu können (Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status: 51 Prozent, Anhängerschaft der AfD: 65 Prozent).
  • Deutlich weniger ausgeprägt sind diese Zweifel bei Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Insbesondere Engagierte mit einem Amt oder einer festen, langfristigen Aufgabe sind mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden (70 Prozent der Engagierten mit Amt / fester Aufgaben, 62 Prozent der Gesamtbevölkerung, 59 Prozent der Nicht-Engagierten). Gleichzeitig erfahren sie seltener Gefühle politischer Ohnmacht (23 Prozent der Engagierten mit Amt / fester Aufgabe, 35 Prozent der Gesamtbevölkerung, 39 Prozent Nicht-Engagierte).